Zum Transfer in der Erlebnispädagogik

Wäre das nicht toll:
Wir, die Erlebnispädagog*innen setzen eine Gruppe junger Menschen im Rahmen eines eintägigen, von der Schulleitung verordneten Schüler*innentrainings (Ziel: Erlernen sozialer Kompetenzen) einer Serie von ausgefeilten Interaktionsspielen („Team Tasks“) aus. Und danach entsenden wir diese glücklich und mit vor Stolz und Lernerfolg beinahe platzenden Köpfen zurück in ihre schulische Alltagswelt. Dort, Simsalabim, werden sie plötzlich zu funktionelle Zuhörer*innen! Und anstatt sich wie bisher die Köpfe einzuschlagen kooperieren Alle fröhlich miteinander. Weil sie in unseren zugegeben hanebüchenen Teamspielen (Sumpfmonster, Riesenspinnennetze, Teich aus Säure, und das in der staubigen Turnhalle!) erfahren durften: Ohne Kooperation und achtsame Kommunikation auf Augenhöhe gibt es keinen gemeinsames Erfolg. (Der wurde hier definiert durch das Lösen der Aufgaben und damit die „Erlösung der Schüler*innen aus diesem Setting). In der anschließenden Reflexion haben wir durch gezielte Fragen Missstände in der Kommunikation durch geschickte Suggestivfragen herausgearbeitet. herausgearbeitet.
Der Transfer in der Erlebnispädagogik
Aber auch die positiven Beobachtungen die wir gemacht und notiert haben, sodass am Ende die Schüler*innen genau die Sätze die wir hören wollten reproduzieren. („Wir müssen lernen einander zuzuhören“; „Alle sollten mal zu Wort kommen“; „Wenn wir zusammenarbeiten schaffen wir viel mehr“)
Im Idealfall hört ab diesem Moment die Schulleitung mit, wir wollen ja im Anschluss wieder gebucht werden!
Wie eine Schatzkiste werden diese Schüler*innen die gemeinsam erlangten Erkenntnisse in die reale Schulalltagswelt transportieren und dort, Schulstunde für Schulstunde, wieder und wieder öffnen und… Genug davon. Und nein, so läuft es nur auf dem Papier!
Transferproblematik im Alltag

Warum es oft anders kommt…

Jede*r der schon mal mit Erlebnispädagogik – oder Pädagogik im Allgemeinen – Kontakt hatte, kennt ihn – den berühmt-berüchtigten „Transfer“. Oder besser: die „Transferproblematik“.
Mit ebendiesem soll gewährleistet werden, dass das im erlebnispädagogischen Setting Erfahrene und Erlebte auch im „echten“ Leben eingesetzt werden kann. Schüler*innen werden sozialkompetenter, Führungskräfte besonnener, Teams effizienter (Klar, wichtig wegen der Produktionssteigerung!).
Es entsteht dadurch der Eindruck, dass eine erlebnispädagogische Aktion zwangsläufig zu einem Übertrag in den Alltag führt. „Transfer“ reduziert also die Didaktik der Erlebnispädagogik auf eine „linear-kausale Wirkkette. Und dass die Dinge im Leben nicht immer linear-kausal laufen, brauchen wir Dir vermutlich nicht zu erzählen.

Ein weiteres einfaches Beispiel für solch eine linear-kausale Annahme in der Erlebnispädagogik ist: „Ich geh am Kletterfels an oder auch über meine Grenzen und bin hinterher automatisch in meinem Alltag mutiger.“
Wir wagen hier mal ein Postulat. Je „inszenierter“ das Setting der erlebnispädagogischen Aktion, desto mehr verkommt die (Transfer-)Intention zu einer Rechtfertigung der Aktion. Wir erklären dann beispielsweise Schüler*innen, dass sie die Plastikplane nicht verlassen dürfen, weil es sonst lebensgefährlich wird. Wie etwa beim Modul „Fliegender Teppich“. Gleichzeitig erwarten wir das irgendwie Sozialkompetenz fürs spätere Leben entsteht. Und gratulieren insgeheim der mutigen Schülerin die uns irgendwann erklärt hat, dass sie „auf Kindergarten grade keinen Bock“ hat. Und mit diesen Worten eine rauchen ging…

Komplexität der Realität

Wir glauben jedoch das Erlebnispädagogik viel differenzierter wirkt, als es sich mit dem vereinfachten Gedanken eines Transfers beschreiben lässt. Deshalb sprechen wir viel lieber von einem „Anschluss“ an das Erlebte.
Aus systemischer Sicht ermöglicht die Begrifflichkeit „Anschluss“ einen Reaktionsraum aufzumachen, ohne gleich in eine linear-kausale Verkettung zu geraten.
Ein Teamtask kann durchaus Anregungen und Anknüpfungspunkte Richtung Sozialkompetenz oder deren Thematisierung geben – muss aber nicht. Die Lernfelder, Verhaltenserfahrungen, Lernergebnisse können je unterschiedlich sein und finden auch nicht automatisch statt. Und eventuell haben die Schüler*innen sowieso grade keine Lust auf eine gemeinsame Aktion, dann wird der erwünschte Effekt so oder so bestenfalls als Konditionierung, nicht aber als Lernen zu beschreiben sein.

Übertragung klappt nicht immer

Der Begriff „Anschluss“ versucht die Autonomie von Lernen bei den Teilnehmenden zu lassen. Letztendlich entscheiden alle Menschen individuell und situativ selbst, wie und was sie lernen wollen, was für den eigenen Prozess Sinn macht und was nicht, in welcher Form sie an das Erlebte einen Anschluss ins eigene zukünftige Leben generieren wollen.

Interesse geweckt? Du hättest Lust mal Team Tasks „live zu erleben“? Oder zu lernen wie aus Teamtasks lebensechte Herausforderungen modelliert werden können? Diese sogar mal selbst anzuleiten? Falls Du jetzt Lust hast mehr über erlebnispädagogische Aktionen wie Teamtasks zu erfahren, dann laden wir Dich herzlich zum Praktikum (oder doch gleich in unsere Ausbildung Erlebnispädagogik?) ein.

Zum Autor

Leif war in der Schule nach eigener Aussage “ systembedingt transferresistent“. Dank alternativer Lern- und Lehrformen hat das mit den Abschlüssen und dem halbwegs bürgerlichen Werdegang dann doch noch geklappt. Die Dankbarkeit, nie wieder Diplom- oder andere Arbeiten schreiben zu müssen, die maßgeblich nach Quantität vorgeformt werden manifestiert sich heute in den hier vorliegenden Zusammenfassungen von Zusammenfassungen…

Leif Cornelissen, Diplom- und Erlebnispädagoge